Texte & Inhalt - Steffen Kersken

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Blick in die Bücher > Das Büchlein für Wartende
In der Bewegung

Neben ungewollten Krisen und Pausen, wo wir uns zwangsweise neu erfinden müssen, gibt es Auszeiten, so kleine Inseln im Alltag, die wir uns selbst schaffen können, wenn wir es denn möchten. Bedürfnis orientierte Pausen, Sport treiben oder Kurse belegen. Ich für meinen Teil Sinne ja gerne....ja Sinnen. Positives Nachdenken. Nicht dösen, nein, erhoffen, aber nicht abschalten, nee, eher phantasieren oder tagträumen. Ich geh gerne in die Kneipe, setzt mich da hin, ganz alleine und tagträume. Tagträume sind wichtig, oft Grübeln wir ja über Probleme und das macht negative Gefühle, wie Angst. Aber wenn wir Tagträumen, dann ist das positives Träumen, an etwas Schönes denken. Liebe Quergedachten, das müssen sie mal wieder versuchen:
Tagträumen, sich in schöne Augenblicke träumen, sich geistig vom stressigen Alltag wegüberlegen. Schönes Wort, wegüberlegen. Schatz, gestern habe ich mich geistig von dir wegüberlegt, müssen sie mal sagen...-aber im positven Sinne wegüberlegt, das sollten Sie noch hinterher schieben!

Sie dürfen beim Tagträumen nur nicht depressiv aussehen, nicht wahr, bloß nicht depressiv aussehen! Bedrückt geht noch, elegisch-bekümmert, na ja, bedröppelt, nun gut, trübsinnig ok, schwermütig kein Problem, aber bloß nicht depressiv! Letztens saß ich in Moers in ner Kneipe, war am Sinnen und da kam ein Gast zu mir an die Theke: „also Herr Kersken, sie Gucken aber depressiv! Bei Ihnen is ja wohl auch Hopfen und Malz abhanden bekommen, sie schauen ja, als hätte Sie der Esel im Galopp verloren!“ „Nee, ich bin am Sinnen, sach ich!“ Letztens saß ich in der Laterne in Duisburg, und an der Theke gegenüber ein weiterer Gast, also sonst niemand, nur wir zwei und der Wirt. Zwei Stundenlang schweigen, der Wirt wischte an seinen Gläsern rum, und mein gegenüber guckte auf Sein Herrengedeck, also Bier und Korn und hat sich schweigend weggesoffen, et sah jedenfalls so aus, als würde er nicht nachdenken oder Sinnen. Aber man weiß ja nie genau, wenn so Leute drei Stunden auf das Bier und Korn gucken und schweigen, ob die jetzt nachdenken oder nicht, man weiß es nicht. Sinnen oder Saufen, dat is die Frage! Man steckt ja nicht drin! Man weiß es einfach nicht: denkt der Mensch jetzt nach oder ist er ins Koma verfallen? Man steckt nicht drin in so einem Kopp, nicht wahr! Der Mann kann besoffen sein oder womöglich hochintelligent, kann ja auch sein und der is nur am Sinnen! Und viel schlimmer: Er ist hochintelligent, aber ständig besoffen.
Man steckt nicht drin!

Er guckt jedenfalls nach drei Stunden urplötzlich hoch, mir direkt in die Augen, ich war ganz verdutzt, und sagt: „Ich mag deine Fresse nicht!“ Ja, wirklich wahr! Er war drei Stunden im Koma, wacht auf und sagt: „Ich mag deine Fresse nicht!“ Die Psychologen nennen das Gegenübertragung, weil er seine Probleme auf meine Fresse projiziert! Ich sage zu ihm: „Dann sind wir schon zwei!“ Da platzte der Knoten zwischen uns. Später haben wir uns auch oft in Moerser Kneipen getroffen, alle nannten ihn nur IC, weil er ein bosnischer-Serbe war. IC, Mutter Serbin und Vater Bosnier, eigentlich Kellner in einer Moers Kneipe, saß nach Dienstschluss in einer anderen Kneipe und sann vor sich hin oder warf deutsche Sprichwörter durcheinander. Er sagte zum Beispiel so Weisheiten wie:

Und genau da liegt der Hase begraben.

Von Pontius nach Pilates, oder, die führen ne Ehe wie Sodom und Gomera.

Man könnte sagen, ich bin ihm richtig vom Dach gestiegen!

Ihr mit Eurem Gehalt müsst mal die Kirche vorm Dorf lassen!

Bei Flüchtlingsthemen muss man auch mal Farbe erkennen, Herr Kersken!

Mit so ner Sache, Herr Kersken,da muss ich nicht unbedingt die große Glocke läuten!

Der Niederrheiner verdreht auch gerne sämtliche Wahrheiten, nicht wahr, ich habe manchmal das Gefühl, die Vergangenheit muss immer wieder neu geschrieben werden, nicht weil neue Erkenntnisse über Geschehnisse da sind, sondern weil der Niederrheiner ständig seinen Standpunkt dazu verändert! Ic, der bosnische Serbe, bekam aber hin und wieder auch einen sehr ernsten Blick, wenn er die Augenbrauen hoch zog, dann wusste man, jetzt sinnt er gleich öffentlich! Er schmetterte neulich in die Runde: Wir dürfen nicht nur unsere eigene Sprache verstehen, Isso! Isso ist niederrömisch, eine Mischung aus Römisch und Deutsch:
es ist so, lateinisch factum est ita, es ist so und so war et auch immer,  ut erat semper, so wird es immer sein, glaub mir dat,sic non semper erit, und die Steigerung ins Niederrömisch einfach: ISSO!

Oder Komma: kommen=veni, komm mal eben, du hast ja sonst nix zu tun, Im iustus interdum. Die niederrömiosche Steigerung: verdorrich, kannze jetzt mal endlich kommen ,lateinisch= tandem venit, niederrömisch einfach: Komma!

Die neue niederrheinische Generation sagt jetzt immer: Schickma! Andauernd sagen die Schickma, schick ma rüber, schickma dat ruhig, kannze mir schicken. Oder auch in Fragestellungen: hasse mir dat geschickt? Das ist die niederrömische Steigerung von geschickt sein.

Oppa ist nicht Niederrömisch, das wäre ja lateinisch avus, also Opa und ins Niederömisch gesteigert Oppa, also lateinisch opere= durch den Oppa durch opperieren, das geht nicht! Nein, das ist kein Niederrömisch! Durch den Oppa durch operieren, wie wäre das denn?

„Isso,“ sagte der IC! „Ihr Köppe könnt mir glauben, die Angst ist der Kitt unserer Gesellschaft! Angst ist der Kleber der sozialen Beziehungen, der Leim der uns zusammenhält, der Papp der uns gezwungenermaßen offen Herzig denken läßt, Bindemittel zum Händereichen, Angst ist der Kitt unserer Gesellschaft,“ schrie der uns an, die anderen Leute drehten sich schon um! „Nich so laut,“ sagte ich, „wat sollen die Leute denken?“ „is ja gut, ich bin leiser. Aber ist doch wahr! Auf der Arbeit nur noch Druck, Leistungsdruck, Erwartungshaltungen und ständig sagt man dir: du bist ersetzbar. Angst macht das und dann gibt es nur noch Konkurrenz statt Miteinander, Ellenbogenphilosophie, statt Hilfe einfordern, Verantwortung teilen oder Kommunikation. Nee, Angst ist der Kitt!“, „PSSSSST! Steiger dich nicht so rein!“ „ Wir hören uns nicht mehr oder sehen uns, jeder kümmert sich um sich selbst, wegen der Angst. Angst ist der Kitt.

Wir verlieren unsere menschlichen Bedürfnisse aus dem Blick, versuchen Erwartungen anderer zu erfüllen, auf der Arbeit, in der Familie und für Freunde dazu sein, aber wo bin ich, wo ist der Mensch?“, „Tschhhhhh, leise bitte, du steigerst dich rein! Kumma, da vorne sind Leute wegen Dir wieder raus gegangen, die haben Angst gekriegt!“
Der Niederrheiner wird beim Streiten gerne laut, das ist diese berühmte niederrheinische Sozialpädagogik: laut aber völlig wirkungslos!
„Eben, Angst ist der Klebstoff unserer Gemeinschaft, kein wunder das findige Politiker Ängste schüren, vor Neuem, vor Veränderung, vor Menschen, vor dem Scheitern und abgehängt werden und überhaupt die Angst, vor der übrigen Welt! Immer mitgehen, immer voran. Vielleicht sollten wir es einfach mal mit Liebe probieren: Sich aushelfen, Hände reichen, um Hilfe bitten dürfen, Verantwortung teilen dürfen, mal Schwach sein dürfen, Verzeihen, mal echt und ohne Fassade, das wäre doch was. Aber da ist wohl nur der Gedanke ein Vater!“. „Der Wunsch der Vater des Gedanken, heißt es, IC!“ Aber IC blickte schon wieder auf sein Herrengedeck, obwohl er recht hatte: erst neulich saß ich in Friemersheim an der Kappelle, neben mir der Holger und wir blickten auf den Rhein in die Dunkelheit, auf einen grauen Schornstein mit orangener Flamme. Und in diese orangene Stille hinein, in diesen niederrheinischen Moment, sagte der Holger etwas, was irgendwie ganz Weise klang:
„Mir sagte mal jemand:'Du musst immer wieder aufstehen, wenn Du sechs mal fällst, musst du sieben mal aufstehen! Du musst immer wieder Tabul rasa machen, eine neue Rechnung eröffnen, einen Schnitt machen und einen Strich drunter setzen. Wenn sich eine Tür schließt, geht irgendwo eine neue Tür auf, du musst nur hindurch gehen, immer in der Bewegung bleiben, that`s it man! Das ist Wachstum, das ist Entwicklung, Metamorphose, Bewegung, Ellenbogen raus und aufstreben, weitermachen, immer voran in der Bewegung und nie stehenbleiben, wir sind nämlich ersetzbar! Aber irgendwie ist mir das zu anstrengend geworden, ich bin so müde von der Bewegung und fühle mich, wie eine Schneeflocke, die in einem Sommerfeld niederfällt und einfach zerfließt oder in der Bewegung zergeht. Meine Handlungen haben keinen Sinn mehr, denn es geht nur noch darum, es anderen recht zu machen, sich zu entwickeln, nie stehenbleiben zu dürfen. Wir rennen und hasten von Abschnitt zu Abschnitt, von Mensch zu Mensch, lassen zurück, demütigen, tun weh, keine Vergebung. Es ist diese Bewegung, die mich träge macht, die mich zum Stillstand bringt!

Wir reichen Hände, ohne wirklich etwas zu geben und wir bringen genau das unseren Kindern bei: 'Wer rastet der rostet, du musst alle Hebel in Bewegung setzen, sei ein rollender Stein, denn ein rollender Stein setzt kein Moos an! Du musst ein Kämpfer sein, dich durchsetzen, stärker sein und nicht angreifbar und unfehlbar!' Ja Steffen, äußerlich bewegen wir uns, obwohl wir innerlich auf etwas anderes warten. Kurios, nicht wahr. Ein Paradoxon, eine seltene Antinomie, ein lebendiger Widerspruch und weise Polarität. Wir bewegen uns, obwohl wir schon auf der Stelle treten. Außen lebendig, innen tot. Wir wachsen, aber wir verlieren uns. Wir streben nach Großem, aber hinterlassen keine Spuren, die wir brauchen, um uns zu finden. Unsere wahren Spuren. Vielleicht ist es diese Bewegung, Steffen, die mich so träge macht. So fürchterlich müde. Ich habe meine wahren Spuren verloren.“

Wir blickten stumm auf den Turm an der anderen Rheinseite und verfolgten die Bewegung der flackernden Gasflamme, wie sie über den grauen Schornstein in der Dunkelheit schwebte, denn das ist eben das typische bei uns am Niederrhein, das Grüne und das Graue zugleich: ein Paradoxon. Traurig und humorvoll, lachen und weinen. Lebensfreude bewahren,auch wenn es schmerzt, wie eine Gasflamme in der Dunkelheit. Paradoxon eben.

Bilder im Buch: Petra Klein
Von Freiheit und innerer Freiheit

Unsere Gesellschaft kommt ständig mit neuen Sachen um die Ecke, und ich habe oft das Gefühl, den Verdacht und eine Portion Argwohn, das wir jeden Fortschritt mit schreiten müssen, jede Entwicklung uns mit entwickeln soll, jedes neue Ding uns erneuern soll und zwar im schnellen  Galopp. Man ist vom Fortschritt gerade erst erneuert worden, da kommt schon der nächste im Galopp vorbei geritten und will was von dir!
Altes Handy und du wirst schief angesprochen, quasi von der Seite angeschaut, nicht wahr. Keine ACTIVE-Uhr und du gerätst ins Kreuzfeuer, kriegst einen vor den Latz geknallt. Einmal ne schlechte Krawatte im Büro und dir bläst der Wind ins Gesicht, überspitzt gesagt.
Mitmachen oder nicht? Wir müssen schon früh abwägen, was gut oder schlecht ist: Welche Schule ist gut oder in welchen Kindergarten schicken wir die ganz Kleinen?
„Also man sagt ja, der Kindergarten an der Blumstraße ist der Beste. Also nicht man, sondern die Frauen aus der Wusel-Krabbelgruppe sagen das. Also drei von der Wusel-Krabbelgruppe sagen das beziehungsweise die Lisa Schmidktes sagt, der Kindergarten in der Blumstraße ist der Beste. Also da müßten sich schon viele Leute irren, also ganz viele, wenn dat nicht der Beste Kindergarten von ganz Trompet, Bergheim, Oestrum und Rumeln-Kaldenhausen wäre!“
Letztens in der Warteschlange bei Aldi, hat mir auch jemand von der Schule berichtet:
„Da gibt es Unterschiede, ja ja, vor allem die Ausländerzahlen, Herr Kersken, allein die Ausländerzahlen an Ihrer früheren Schule! Herr Kersken, ich sag es Ihnen mal unter vorgehaltener Hand, ich bin ja nicht Ausländer feindlich, aber da fürchtet sich mein Kind in die Pause zu gehen!“
Was wird studiert? Nur das Beste, versteht sich von selbst: „Akademiker, nicht wahr, darunter ist man nichts! Guck mich an, ich musste dat ganze Leben schuften, dat sollst du ma nich!“
Tablets für die Kids ab zwei und was sind die coolsten Schuhe für Dreijährige?
Das sind die Sorgen der jungen Elterngeneration! Bloß alle Trends im Auge behalten, immer Up to Date, sich auf den neuesten Stand bringen,automatischer Neustart, erneuern, pushen, digitalisieren und vervollständigen. So muss dat, liebe Freigeister! Und in Zeitschriften liest man plötzlich von Krankheiten, da habe ich das Gefühl, die bekommt man erst, seitdem man sie erfunden hat!
Oder der Thermomix. So ein kleines, geschmackloses Ding, spaltet eine ganze deutsche Gesellschaft!
Entweder oder, ja oder nein zum Thermomix! Schwarz oder Weiß! Das sind die  Kern-Probleme unserer Gesellschaft, wenn man den Themen einer Garten-Party nachgeht! Syrien wird platt gemacht, aber am Stammtisch streitet man über den Thermomix! Oder diese ganzen Ernährungstrends, muss man da alles mitmachen?
Omnivore Esser, Rohköstler, Vegetarier, Veganer, Frutarier, Marsianer und son Gedöns!

Also ich steh nachts auch für ne einfache Bockwurst auf, ganz ohne schlechtes Gewissen!
Ehrlich, ich mach für son Würstchen mitten in der Nacht die Alarmanlage  aus, da kenne ich nix! Da hab ich auch keine Malesse mit, bzw. schwere Gedanken oder ein schlechtes Gemüt, moralische Bedenken oder es grüßt mich die Justitia, von wegen Fleisch! Es muss nur im Rahmen bleiben und wir können bewußt mit Fleisch und dem Töten von Tieren umgehen, muss aber alles gleich ins Extreme verfallen?
Auch diese modernen Diäten, da blickt doch schon gar kein Schein mehr durch! Letztes Jahr  hat man mir  zum Beispiel ein Gutscheinbuch geschenkt, und das kennen Sie vielleicht auch,  der Niederrhein ist mittlerweile übersät und sogar zugepflastert mit griechischen Restaurants!
Ich habe eine Woche lang nur mit griechischen Gutscheinen, die sogenannte Steinzeit Diät ausprobiert. Kennen Sie Steinzeitdiät?
Nur Fleisch, keine Kohlenhydrate!

Montags, Gyros, Dienstags Bifteki, Mittwochs Moussaka, Donnerstaks Suzuki und Zaziki, Freitags Souvlaki, Samstags Kleftiko und Sonntags die Olympia Platte - Is ja Sonntag! 25 Kilo! Leider zugelegt!
Aber bei unserem Griechen in Bergheim ist der Gutschein besonders nett: zehn Ouzo trinken, eine Flasche Ouzo umsonst! Muss man aber noch im Laden vertrinken! Nee, mitnehmen geht noch nicht!
Ich war jedenfalls mit den Langscheids beim Spanier, und mal nicht beim Greichen, da war ich ganz froh, und die Gisela Langscheid, eine Herzens-Seele, liebe Freigeister, aber die Gisi spricht nicht in Sätzen, sondern in Anekdoten! Man könnte auch ironisch behaupten, die Gisi liebt das Nähen, denn sie ist öfters mal auf der Suche nach dem roten Faden, nicht wahr!
Also, in ihrem Kopf hat vieles noch einen Sinn, aber auf ihrer Zunge verliert sich oft jegliche sinnvolle Essenz, in ein niederrheinisches Paradoxon!
Das ist quasi die Problemzone des Niederrheiner: der rote Faden!
Die Gisi besitzt auch die Lebenskunst, zu 90% mit Leuten auszukommen, die sie nicht mag! So hört sich dat zumindest an, wenn Niederrheiner über andere erzählen und vor allem, wenn die Gisi erzählt! Überhaupt, egal wo man heutzutage hingeht, überall wird schlecht gemacht, runter geputzt, verunglimpft und wie schlecht doch alles ist, im Verein, mit den Freunden, auf der Arbeit, in der Gesellschaft und sowat alles.
Niemand denkt mehr positiv, so hab ich es im Verdacht, und sagt frei raus, was er möchte.
Lieber Protestwählen, als konstruktive Kritik üben und  für eigene Bedürfnisse richtig einzustehen. Mal echt sein und keine Fassaden zeigen, das gelingt vielen doch gar nicht mehr, nee, lieber wegducken und sich über Greta Thunfisch lustig machen, oder Thunberg. Statt mit zu verändern, erst mal schön abwerten, statt aufzustehen, sich lustig machen oder vor den Latz knallen.
EINFACH MAL MITMACHEN!
Es geht uns vielleicht zu gut, als das wir uns konstruktiv bewegen, kritisch in Fahrt kommen, auf die Straße gehen und mal Werte hochhalten. Komfortzone und Wohlstands-Adipositas, nenne ich das.
Für viele geht Empathie und Perspektivwechsel nicht weiter, als die Drehweite ihres Barhockers in der Stammkneipe!   Prost.
Ich führte mit Gisi gerade ein Gespräch, da lief der Herbert Menzel an uns vorbei, Richtung Klo! Da unterbricht Gisi unsere laufende Unterhaltung und begann ein so genanntes, niederrheinisches Randgespräch:
„Hömma, hasse gehört!“
So fangen die meisten niederrheinischen Randgespräche an. Also hören, heißt auf lateinisch audite. Hörsse nicht, heißt non audies und hör mal, hast du gehört, ist bereits gesteigert, also hör mal besser doppelt hin, eben auf Niederrömisch:
Hömma, hasse gehört!
„Dat ist der Herbert Menzel. Ganz tragisch, Steffen. Ganz tragisch! Er hat seine Frau mit Haus und zwei Kindern, nach 30 Jahren Ehe sitzen gelassen! Plötzlich schwul!
Ganz tragisch! Er ist Steward, musse wissen, und hat den Neuen auf dem Flug Weeze nach Mallorca kennengelernt!
Um es mit Parship auszdrücken: Saftstupse traf Maschinenbau-Ingenieur! Tragisch!
Für die Hinterbliebenen wird schon im Kindergarten gesammelt, also für Frau und die Kinder!“
Mitten im Gespräch, erzählt Gisi mir plötzlich das halbe Leben von Herbert Menzel, so als 30 Sekunden Randgespräch. Am Rande, nebenbei, seitlich der Peripherie oder abseits des Kerns. Niederrheinisches Randgespräch eben!
Also Vorsicht, liebe Querdenker, ich würde mir schwer überlegen, ob ich in niederrheinischen Kneipen noch auf Toilette gehe! Lieber sitzenbleiben! Ausharren, wegducken, Nest hocken!
Oder letzte Woche in Moers, ich war am „Pissoir“, das ist Französisch und heißt „Pinkelbecken“, neben mir stand noch einer und hinter uns huschte im Augenwinkel eine Person vorbei. Sagte der neben mir: „Dat war der Peter Brommer, gaaanz schlimme Gürtelrose hat der gehabt, der is froh, dat der noch am Leben is! Aber wegen der Gürtelrose guckt der nicht so brummig, der guckt immer so, das hat man manchmal, nicht wahr, das Leute einfach „Naturbrummig“ sind!“
Ich sag: „Wer sind sie überhaupt?“, geh wieder ins Lokal, saß der Peter Brommer an der Theke, den ich nicht persönlich kenne und ich sagte im Vorbeigehen: “Gute Besserung!“, und er sagt wie ganz selbstverständlich: “Daaanke!“
Dat is Niederrhein! Und genau dat sind niederrheinische Randgespräche, liebe Querdenker, wie sie leben und leiden, oder leben und leiben!
Nee, aber die Gisi kann auch total ernst! Total nachdenklich! Dann merkt man auch, wie Weise sie im Kern sein kann, wie frisch ihre Seele aufblüht und was für ein schönes Gemüt in Wahrheit in ihr steckt. In Ihr steckt quasi ein gesunder Kern,  oder die skurrile Fassade hat einen liebevollen Kern, einen weichen Kern in bunter Schale und des Pudels Kern ist irgendwo vergraben.
So in der Art, irgendwie!
Gisi verfällt dann plötzlich, so von jetzt auf gleich,  in eine Art niederrheinische Poesie:
„Also ich glaube, wir sind nicht mehr frei, deshalb fühlen wir uns so verloren, so abgehängt, kriegen keine Luft. Freiheit, das ist so ein Wort. Sind wir Deutschen noch frei, bin ich noch frei? Können wir noch frei entscheiden, oder handeln wir noch frei? Äußern wir noch unsere Meinung? Gehen wir noch unseren Weg oder den der anderen? Folgen wir dem Trend oder unseren Bedürfnissen?
Verstehsse Steffen, welche Freiheit ich meine? Nicht die Freiheit in Frieden zu leben, oder das unsere Existenz gesichert ist, das ist für viele schon selbstverständlich, nein, ich meine die wirkliche Freiheit, die andere Freiheit!
Verstehsse Kersken?“
„Nee noch nicht!“
„Freisein, Freiberuf, Freikauf, Freiland, Freihand, Freidenker, Freifahrt, Freiwurf, überall diese Freiheit, wohin man auch guckt, begegnet einem die Freiheit.
Meinungsfreiheit, freier Wille, Freiwähler, Freischlag, Freistelle, Freizügig, Freigeboren, so viel Frei, frei, frei, aber sind wir wirklich frei?
Frei im Handeln, frei in den Entscheidungen, frei den Weg zu wählen, frei in der Sprache?
Diese Freiheit meine Ich, diese Freiheit! Wo ist sie in all dem Frei?
Freigiebig, Freikämpfen, Freilassing, Freigewerbe, Freihandel, Freikaufen, Freilassung, Freiheit, Freiheit, Freiheit, überall und „nöcher“ die Freiheit: es lebe die Freiheit, ein Prost auf die Freiheit. Prost, du Freiheit!
Freiübung, Freizügig, Freiluftkino, Freizeitpark, ach wie frei wir sind! Freinehmen, Freischläfer, Freigabetermin, Freigeschaltet, Freilichtbühne, Freiheitskrieg, Freigeschwommen, Freiverkäuflich, Freikarteninhaber, Freizeitausgleich... werte Dame, ich bin so frei!
Freiheit. Die Freiheit. Unsere Freiheit. Gott sind wir frei!
Freilich kaum zu glauben!
Aber wo ist die Freiheit in Syrien, im Irak, in Israel und Palästina, wo ist die Freiheit versteckt, also unsere besagte Freiheit? Hier bei uns soll sie sein, ich bin so frei. Aber siehst du sie, Steffen? Spürst du sie? Wo ist die Freiheit, die diese Syrier, Afghanen, Afrikaner und wie sie alle heißen, zu uns führt? Wo ist diese Freiheit, die ich meine? Spürst du diese Freiheit?
Nicht die Freiheit, sondern die andere Freiheit, wonach wir uns insgeheim alle nach sehnen, trotz dieser täglichen Freiheit und dem vielen frei sein! Freistaat, Freitag, Freigabe und Freizügig!
Warum fühlen wir im Innern nicht diese Freiheit, wo sie doch überall bei uns rumliegt? Wieso spüre ich nichts, wenn da so viel Freiheit scheint? Freischein. Ich spüre Enge. Ich spüre Bedrücktheit. Misstrauen. Druck. Ich fühle mich ersetzbar.
Ich rede von Freiheit, nicht dieser Freiheit, sondern der anderen Freiheit, nach der wir uns eigentlich ein wenig sehnen: im Alltag, auf der Arbeit, im Verein, beim Händeschütteln, beim Leben, beim Lieben und beim Stark sein. Mal verzeihen können, mal schwach sein dürfen, mal nicht jede Entwicklung mit gehen zu müssen, nicht immer ansprechbar sein, maximal online,  und ein Leben, als Problemlöser zu leben. Mal sieben gerade lassen.  Keine 110%.  Wenn du verstehst, was ich meine! Diese Freiheit meine ich, ja, diese Freiheit meine ich! Vielleicht diese Freiheit, die Flüchtlinge gar nicht bei uns suchen.
Wenn Du verstehst, was ich meine, und von welcher Freiheit ich eigentlich spreche...“


Bilder im Buch: Petra Klein
21. Jahrhundert

Ich saß letzten Mittwoch im Dachsbau in Krefeld, wo mich jemand so von der Seite, über die Theke, nebenbei, quasi von oben herab ansprach.
Sie immer mit ihrer Gutmensch Welt, Herr Kersken, also Ihre Texte sind wirklich toll, aber Sie sind doch fernab jeglicher Realität, nicht wahr! Wir haben das 21.Jahrhundert, Herr Kersken, da geht es voran, digitale Welt, Fortschritt, Metamorphose und es geht um Wachstum, Herr Kersken. Wachstum! Da bleiben die Schwachen halt mal zurück, da geht es nicht immer um Rücksicht oder sowat! Denen geht et doch auch gut bei uns, die Schwächeren werden schon nicht tot umfallen, nicht wahr!
Sie immer mit Ihrer Toleranz und Gutmütigkeit, als wenn das noch modern wäre, der Mensch wächst, Herr Kersken, es geht um Wandel und nicht um Gefühlsduselei oder sowat!
Da geht es um goldene Herzen, nicht um große Herzen oder sowat!
Plötzlich quasselt mich eine so über den Tisch an, quasi von oben herab, aber von der linken Seit, so quer rüber!
Herr Kersken, Ihre Texte regen wirklich zum Nachdenken an, aber mal ehrlich, wir haben das 21.Jahrhundert, da können wir nicht auf alle Menschen Rücksicht nehmen!
Türe, Tore und Grenzen auf, alles rein wat von zu Hause flüchtet, dat wäre ja wie Sodom und Gomorrha, nicht wahr. Aber Deutschland ist im 21.Jahrhundert, Herr Kersken, da können wir doch nicht auf Syrien oder Pakistan und all sowat Rücksicht nehmen. Deutschland wächst, Entwicklung, Modernität, Technologie, Export und Weltmarktführer! Sie Gutmensch Sie, wollen die ganze Welt retten, Sie Weltverbesserer Sie, Sie Großherz, Sie Liebes-Pionier und rührseliges Ei!
Und dann quakt mich der wird hinterm
Tresen an, so von schräg, über die Schulter weg, von oben herab.
Sie haben wirklich schöne Gedanken und die tollen Anekdoten Her Kersken, ich höre Ihnen so gerne zu, aber Sie immer mit Ihrer Toleranz, auf Augenhöhe, verzeihen, Miteinander und Menschlichkeit und sowat!
Wie soll dat gehen, Herr Kersken? Wir sind im 21.Jahrhundert, nicht wahr, da ist Arbeit mehr als arbeiten, dat is Workplace, Arbeit 4.0, Paradigmen Wechsel, Generationen Tausch, digitale Transformation sch ich nur! Wir müssen Schritt halten, im Rhythmus der globalisierten Welt mit marschieren, dat is Future-Business, Work-Revolution und der Beginn der agilen Office-Ära! Sie immer mit Ihrer Fantasie und Gefasel von Nächstenliebe. Sie immer mit Ihrer gedichteten Rücksicht und beschriebenen Menschlichkeit, da können wir uns doch nix für kaufen. Dat is dat 21.Jahrundert, Herr Kersken, wachen Sie auf, da steht der Mensch halt mal hinten an, denn Deutschland wächst, wir wachsen, es geht voran, nach oben, verstehen Sie das nicht? Sie immer mit Ihrer kindlichen Fantasie, ein Erwachsener in Kinderschuhen, ein verträumter Anti-Realist sind sie doch,dat ist das 21.Jahrhundert, Sie Kindheitsverfolger Sie!
Und dann war Stille im 21.Jahruhndert. Ruhe im Dachsbau. Kein Wort, es war alles gesagt.
Also wenn dass, das 21.Jahrhundert ist, dann Prost Mahlzeit!
Ich bin vielleicht ein Träumer, aber möchte kein Menschenhasser werden,
Ich bin vielleicht immer noch ein Kind, tief in mir verträumt, aber ich finde das immer noch besser, als rücksichtslos zu marschieren, auf die Welt zu blicken, durch die digitale Welt hindurch auf diese schöne Welt, nur mit Gleiches-Gleichen zu verurteilen, links liegen zu lassen, andere Menschen abzuwerten,  und auszuschließen. Nein das bin nicht.
Ich trage vielleicht Kinderschuhe, ja, und bin vielleicht Gefühlsduselig, aber ich möchte nicht im Rhythmus des Exportes und Transformation gehen, meinen Blick über das Übel und das Unrecht dieser Welt hinweg werfen, ich bin nicht nur Deutscher oder Deutschland, nein, ich bin auch ein Mensch. Ein verträumter Mensch, ja, aber nicht digitalisiert, nicht im Flow der Revolution, ich bin das Gegenteil von Future. Business, einfach nur ein Mensch mit Herz und einer Seele. Ich brauche gar nicht so viel. Ich brauch all das nicht, wovon Sie reden. Ich brauche viel weniger zum glücklich sein und ich möchte das teilen.
Das klingt vielleicht abseitig, naiv und etwas weltfremd, aber es ist mir sehr wertvoll, gibt mir viel. Das Leben kann so einfach sein, wenn man nicht marschiert oder sich stetig entwickelt, von Paradigma zu Paradigma springt, in der Metamorphose schwebt oder sich immer neu erfinden möchte. Das Leben kann glücklich sein, wenn ich das Handy mal beiseite lege und mir den Horizont anschaue. Wenn ich mich irgendwo an den schönen Niederrhein setze, da wo nichts ist, nur die Schönheit der Natur, ein paar Weiden und vielleicht der Rhein. Dann geht es mir gut.
Das reicht mir völlig. Aber dafür muss ich keine Menschen links liegen lassen, mich durchsetzen und verletzen, mich entwickeln, hetzen und eilen und wachsen. Dann bin ich Ich-Selbst. Das reicht mir völlig. Tut mir gut. Das gibt mir Kraft, um für andere da zu sein, tolerant zu sein, Rücksicht zu nehmen und Hände zu reichen. Offen zu sein, nicht offen für die Workplace-Revolution, nein, offen für die Menschlichkeit. Offen für andere. Für die Sorgen anderer. Das klingt vielleicht naiv, macht mich aber glücklich. Und das reicht mir völlig. Ich bin nicht auf der Suche, immer in Bewegung, nein, ich bin glücklich.
Wenn das Ihr 21.Jahrhundert ist, dann bin ich lieber ein alter Socken, ein ausgeleiertes Gummiband, etwas verstaubt, hinterm Mond oder ausgelutscht. Ja, nennen Sie mich ausgelutscht.
Wenn das Ihr 21.Jahrhundert ist, dann bin ich lieber ein abgesessenes Sofa, ein verrosteter Nagel, Schnee von gestern, etwas abgetakelt. Ja, nennen Sie mich abgetakelt.
Ich bin lieber nett, als modern.
Ich bin lieber menschlich, als in.
Ich bin lieber gutherzig, als reich.
Ich bin lieber Mensch, als Work-Place.
Wenn das Ihr 21.Jahrhundert sein sollte, dann bleibe ich doch lieber ein Erwachsender in Kinderschuhen, etwas ausgelutscht.
In diesem Sinne, ich raste weiter und verbleibe mit besten Wünschen: Gute Besserung!

Bilder im Buch: Petra Klein


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